50 Jahre: 1972 - 2022
Geschichten zum Neuguss-Jubiläum
In Beziehung sein – Geschichten zum Jubiläum

Zukunftsfunken –

Alfred Rexroths Vermächtnis

Ein Vermächtnis ist, ähnlich wie der Begriff Erbe, nicht nur in materieller Hinsicht zu verstehen. Vielmehr bezeichnet es auch eine geistige, kulturelle Hinterlassenschaft. Besonders schön im Englischen „heritage“ zu verfolgen, das von der Bedeutung Kulturerbe bis hin zum Denkmal führt. Der Unternehmer Alfred Rexroth hat in seiner Hinterlassenschaft all diese Spuren zusammengeführt – materieller, kultureller und geistiger Art. Denn das Ehepaar Rexroth hat im Laufe seiner Zeit tatsächlich sein gesamtes Vermögen in die Bochumer Arbeitszusammenhänge rund um die Gründung der GLS Treuhand, der GLS Bank, aber eben auch der Neuguss-Verwaltungsgesellschaft eingebracht und schuf damit eine wesentliche materielle Grundlage für deren Arbeit – bis heute. Aber auch darüber hinaus etablierte es eine Haltung, die Unternehmung als Kulturaufgabe versteht.

Bereits in den frühen 1960er Jahren beschäftigte sich der Unternehmer Alfred Rexroth mit der Frage, welche gesellschaftliche Verantwortung sich aus dem industriellen Schaffen heraus ergibt. Die Frage nach dem Zusammenwirken von industriellen und kreativen Prozessen führte nicht nur dazu, dass Rexroth über seine unternehmerische Tätigkeit im Stahlguss hinaus auch künstlerisch tätig wurde und zahlreiche, sehr besondere Plastiken schuf. Rexroth war – gemeinsam mit seinem Bruder - Eigentümer eines stahlverarbeitenden Betriebes in Lohr am Main. Er hatte Rudolf Steiner noch persönlich kennengelernt und suchte nach Möglichkeiten, Dreigliederungsaspekte ins praktische Leben zu überführen sowie assoziative Arbeitsweisen zu entwickeln. Im sogenannten Heidenheimer Kreis, einem Arbeitskreis anthroposophisch orientierter Unternehmer, vertrat er sein Anliegen mit sehr viel Herzblut. War aber unglücklich mit den (fehlenden) praktischen Ergebnissen. Eine größere Geistesverwandtschaft fand er in den Bochumer Arbeitszusammenhängen rund um Wilhelm Ernst Barkhoff. Dass sich ausgerechnet im Ruhrgebiet diese Keimzelle für anthroposophisch impulsierte Unternehmungen fand, scheint auf den ersten Blick paradox. Die Schwerindustrie war nicht nur zu sehen; man konnte ebenso das „von Eisen und Stahl geprägte Klangbild hören und die von Gasen und Rauch durchsetzte Luft riechen.“*
Vielleicht war es aber genau dieser raue Boden, auf dem keine Elfenbeintürme wachsen können, sondern sehr lebenspraktische Erfordernisse Denken und in der Konsequenz auch Handeln prägen, der Rexroth so anzog.

Für diese Form der Zusammenarbeit formulierte Alfred Rexroth am 28. August 1969 folgende Selbstverpflichtung. Ziel der „Arbeit [der Unternehmer Kooperation] ist es, aus den Zeiterfordernissen heraus neue Unternehmensformen zu schaffen und weiterzubilden, die in wechselseitiger Abhängigkeit und Befruchtung eine dem gesamten gesellschaftlichen Bereich dienende Leistung erbringen.“ Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit sei es demnach, dass „ein gerechter Ausgleich zwischen den Unternehmenszielen, den Interessen ihrer Mitarbeiter und dem Wohl der Gesamtheit gefunden werden kann“. Bevor es dieses Wort gab, ist hier eine Definition für Gemeinwohl getroffen worden.

In seinem Testament, das nicht nur von der Wortbedeutung her als Be-Zeugnis zu verstehen ist, verfügte das Ehepaar Rexroth, dass die Neuguss-Verwaltungsgesellschaft Alleinerbin sei und das gesamte Vermögen in die Treuhandstelle Bochum (heutige GLS Treuhand e. V.) fließe. Diese Verfügung steht also im wahrsten Wortsinn für die Verwandlung von materiellen Gütern in Gemeinnützigkeit.

*Aus: Peter Busse, Es stapft und dröhnt mit dumpfem Ton – 100 Jahre Anthroposophie in Bochum