50 Jahre: 1972 - 2022
Geschichten zum Neuguss-Jubiläum
In Beziehung sein – Geschichten zum Jubiläum

OLOID im Dialog –

Gedanklich aus der Kurve fliegen

Eric Schieblich hat an der TU Dresden (Wasserwirtschaft) mit dem Schwerpunkt Abwasserbehandlung studiert und ist seit Juni 2019 Geschäftsführer der OLOID Solution GmbH.

Wie sind Sie zur Neuguss Gruppe gekommen?

Beim Thema Wasserwirtschaft sind die Zukunftsthemen vor allem Mikroplastik, Mikroverunreinigung (besonders Arzneimittelrückstände) sowie die Energieeffizienz bei Kläranlagen. Ich hatte mich im Rahmen meiner Masterarbeit an der TU Dresden in Kooperation mit der FHNW Muttenz für das Thema Mikroverunreinigung entschieden und eine Pilotanlage in der Schweiz betreut. Parallel dazu habe ich dann auf Anraten eines Freundes und mittlerweile auch Kollegen hier bei OLOID, Lars Richter, bei der Inversions-Technik GmbH gearbeitet und erste Berührungen mit dem Oloid gehabt. Als Ingenieur musste ich mich zunächst selbst davon überzeugen, dass es hier eine Technik gibt, die in Sachen Effizienz 50% über dem liegt, was man in Lehrbüchern findet. Also eine ganz große Faszination von Geometrie, Verfahrenstechnik und letztlich natürlich vom Produkt. Aber mindestens genauso wichtig wenn nicht sogar maßgeblich war die Art und Weise, wie in der Neuguss Wirtschaft gedacht wird – als etwas in der Zukunft Tragfähiges, statt wie üblicherweise und gerade auch in dem Segment, in dem ich tätig bin, ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet.

Der Oloid ist ja ein geometrischer Körper, der durch die sogenannte Umstülpung entsteht – ein an den Kanten gespiegelter Würfel. Zugegebenermaßen fliegt man dabei ein wenig gedanklich aus der Kurve, oder?

Tatsächlich ist das ohne Modell wirklich schwer nachvollziehbar. Und neben Oloiden aus Würfeln gibt es noch viele weitere, die aus anderen geometrischen Körpern entstehen und zum Beispiel in der Architektur zum Einsatz kommen. Paul Schatz hat da mit seiner Forschung wirklich großartige Arbeit geleistet! Die Faszination für mich liegt hier vor allem im „Anders denken als andere.“ Generell wird in der Wasserwirtschaft bei Rührwerken mit Propellern gearbeitet, und ich musste mich schon oft fragen lassen, warum wir nicht Propeller einsetzen. Aber haben Sie schonmal einen Fisch mit Propeller gesehen? Eben. Die Natur macht es uns vor. Und anstatt – so wie es die heutige Wissenschaft gerne tut - das bestehende Modell (in unserem Fall den Propeller) immer weiter anzupassen und zu optimieren zu versuchen, gehen wir hier ganz neue Wege. Die Geschichte hat gezeigt, dass wirkliche Innovationen zumeist aus ganz anderen, neuen Ideen entstanden sind. Insofern tut ein gedankliches aus der Kurve fliegen hier wirklich gut. Dieses Experimentelle läuft natürlich auch immer Gefahr zu scheitern; aber genau diesen Mut braucht es, um Neues in die Welt zu bringen. Und dafür bietet die Neuguss einen Raum.

Welche Räume wollen Sie als Geschäftsführer der OLOID öffnen?

Tatsächlich hätte ich mir vor acht Jahren überhaupt noch nicht vorstellen können, mal in dieser Position tätig zu sein. Ich empfinde das als ganz großes Geschenk! Aber da geht auch ganz viel Verantwortung mit einher. Peter Piechotta sagte mal zu mir: „Wir können Euch unterstützen, aber am Ende müsst Ihr den Oloid in die Welt tragen.“ Eine ganz große Aufgabe in meiner Rolle sehe ich vor allem auch in der Ermutigung der Mitarbeitenden. Man muss ihr Potenzial erkennen, Impulse sehen und zulassen, Kreativität, Mitdenken und –unternehmen fördern und auch aushalten. Jeder ist wesentlicher Teil der gesamten Wertschöpfungskette von den Ideen bis zur Anwendung. Hier den Raum zu schaffen, dass jeder sinnstiftend zum Gelingen unseres gemeinsamen Unternehmens beitragen kann und sich dabei persönlich weiterentwickelt, ist wohl meine Hauptaufgabe. Aber auch bei unseren Lieferantengesprächen sehe ich das als zentral an – jedem gerne auch vor Ort zu zeigen, was sein Beitrag im Gesamtzusammenhang ist. Viele Lieferanten haben uns gespiegelt, dass sie eine solche Einbindung noch nie erlebt hätten und als sehr bereichernd empfinden.

Ganz wesentlich beim Fördern und Fordern ist aber auch, einer Über-Forderung vorzubeugen. Wir erleben überall, dass Überforderung ein Ungleichgewicht schafft, das eben auch gesundheitliche Folgen hat. Auch aus salutogenetischen Gründen ist also ein anderes Wirtschaften gefragt.

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal kam eine mobile Kläranlage zum Einsatz, die auch auf dem Oloid basiert. Wie kam es dazu?

Tatsächlich muss man dafür etwas weiter ausholen. Die Katastrophe auf Haiti nämlich zeigte auf fatale Weise, dass bislang beim Thema „Emergency Response“ zwar die medizinische Versorgung und das Thema sauberes Trinkwasser, aber nie das Thema Abwasserentsorgung mitgedacht wurde. Das ist dem Internationalen Roten Kreuz dann sozusagen auf die Füße gefallen, als es auf Haiti im Zuge eines Nothilfe-Einsatzes zu einem dramatischen Cholera-Ausbruch kam, der letztlich die ganze Insel betraf. Das Internationale Rote Kreuz war also vor die Aufgabe gestellt, nicht nur Trinkwasser, sondern auch Abwasser in sein Nothilfe-Paket einzubeziehen. Viele auch große Ingenieurbüros haben sich für dieses Thema beworben, aber keins wollte auch nur anfangen zu konzipieren, ohne einen enormen Beratungsaufwand in Rechnung zu stellen. Wir haben uns dann auf Anregung unseres Partners Kurt Saygin gefragt, warum wir das nicht machen. Schließlich haben wir genau dafür die Kompetenz mit dem Wissen über Abwasserentsorgung und den entsprechenden Herausforderungen. Und so haben wir zusammen mit drei beteiligten Firmen (Saygin engineering, Butyl Products Ltd Group und Sigmund Lindner GmbH) vor fünf Jahren ein Modell für eine mobile Kläranlage entwickelt, die dann vom Internationalen Roten Kreuz in Bangladesch im größten Flüchtlingslager der Welt probeweise eingesetzt wurde. Wir haben ca. drei Jahre investiert und quasi nichts daran verdient. Aber unser Anspruch war, weil wir Abwassertechnik können, müssen wir das tun. Da die Testphase in Bangladesch erfolgreich verlief, kam das Deutsche Rote Kreuz auf uns zu und beauftragte zwei große Kläranlagen bzw. die Technikzulieferung, die im Ausland zum Einsatz kommen sollten. Während der Auslieferungsphase geschah dann die Katastrophe im Ahrtal. Und so wurde die Technik vom DRK dort eingesetzt; auch wenn das Dilemma dabei am Ende war, dass sie dann eben zunächst nicht im Ausland ankam.

Inzwischen gibt es weitere Interessenten wie das THW und weitere zivile Hilfsorganisationen, und mittlerweile verdienen wir damit eben auch Geld. Unter anderem sind wir am ehemaligen Flughafen Tegel in Berlin mit einer mobilen Kläranlage im Willkommens- und Verteilzentrum für ukrainische Geflüchtete durch das DRK vertreten.

Was bedeutet die Aufgabe bei der Neuguss für Sie persönlich?

Wie schon beschrieben, empfinde ich die Aufgabe als wirklich großes Geschenk! Auch wenn ich gehörigen Respekt vor ihr habe. Aber vielleicht gehört das auch zusammen. Sowie die fortwährende Frage, wie man aus der Industrie heraus einen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann. Ein Psychologe hat mal die „Umstülpung als psychologische Beschreibung des Menschenlebens“ bezeichnet. Auch für mich ist sie „Sinnbild des Lebens“ sowie die Freude an lebendiger Mathematik.

 

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