50 Jahre: 1972 - 2022
Geschichten zum Neuguss-Jubiläum
In Beziehung sein – Geschichten zum Jubiläum

Neue Rechtsformen –

Von innerer Bewegung zu äußerer Form

Ingo Krampen ist als Rechtsanwalt, Notar a.D. und Mediator in der Kanzlei Barkhoff und Partner in Bochum tätig. Neben der Mediation liegen seine Schwerpunkte in der Beratung, Begleitung und strategischen Entwicklung gemeinnütziger Einrichtungen, insbesondere Schulen in freier Trägerschaft. Zudem ist er unter anderem Mitglied im Aufsichtsrat der Hannoverschen Kassen.

Zunächst möchte ich ein Zitat von Rolf Kerler aus der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen der Neuguss voranstellen. „Nach 40 Jahren Erfahrung würden wir sagen, dass die rechtlichen Fragen bezüglich der Übertragung von Kapitalvermögen, sowie die Konturierung der Kapitalverwandlungsidee für Betriebe bisher am stärksten entwickelt ist – auch wenn dies für den Großteil der Gesellschaft trotzdem noch revolutionäre Ideen sind.“
Würden Sie sagen, dass die rechtlichen Fragen in diesem Kontext tatsächlich am stärksten entwickelt sind und werden sie weiterhin in der Gesellschaft als revolutionär empfunden?


Bei der Neuguss geht es ja um die Frage von Treuhandeigentum, und dieses erfordert immer Treugeber und Treunehmer (Treuhänder). Das ergibt sich aus dem Prinzip der Verantwortlichkeit, das dem Eigentum meines Erachtens immanent ist: Eigentum verpflichtet (Art. 14 GG). Die Neuguss ist jedoch so konstruiert, dass die Funktionen Treugeber und Treunehmer zusammenfallen und damit kein Auftraggeber der Treuhänder mehr vorhanden ist. Die Verantwortlichkeit der Treuhänder wird damit eliminiert. Sie sind nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Die Neuguss – so wurde das immer kommuniziert – gehört sich selbst. Sich selbst zu gehören, ist ein schöner Gedanke. Aber wie kann man Eigentum verwalten, wenn man nur sich selbst verantwortlich ist? Beziehungsweise wem gegenüber ist man verantwortlich? Dazu gibt es im Testament von Friederike und Alfred Rexroth eine interessante Passage, die – der Tonalität nach zu urteilen - wohl von Wilhelm Ernst Barkhoff im Sinne Rexroths formuliert wurde:

„Darüber hinaus haben die Testamentsvollstrecker insbesondere die Aufgabe, daraufhin zu wirken, dass entsprechend unserem Willen die Betriebe, an denen die Neuguss durch die Erbschaft bei unserem Tode oder später beteiligt wird, moderne Sozialstrukturen entwickeln und im Zusammenwirken mit der Gemeinnützigen Treuhandstelle e. V. kulturelle und soziale Gesichtspunkte bei ihrer Produktplanung und Wirtschaftsführung verfolgen.”

Man könnte hier Alfred Rexroth wohl als den ursprünglichen Treugeber bezeichnen, der die Neuguss in ihrer Ausrichtung und Tätigkeit zum Gemeinwohl beauftragt – über den eigenen Lebensfaden hinaus. Aber wer wäre heute der Treugeber? Und ja – sicherlich sind diese Anliegen in ihrer Deutlichkeit und Konsequenz auch in der heutigen Gesellschaft noch weitestgehend „unerhört“.

Welche Rolle spielt das Thema neue Rechtsformen noch heute? Gerade mit Blick auf sogenanntes „Social Business“. Und liegt die Lösung vielleicht ein wenig in der vermeintlichen Paradoxie, wie sie auch im Zitat von Wilhelm Ernst Barkhoff anklingt: „Dem Mangel an Waldorflehrern ist nur durch die Gründung von Waldorfschulen abzuhelfen“?

Wilhelm Ernst Barkhoff bewies hiermit tatsächlich eine seiner besonderen Stärken. Nämlich die Fähigkeit zum Perspektivwechsel; eine Technik, wie sie heute z.B. in der Mediationsausbildung gelehrt wird. Ihm gelang das gewissermaßen intuitiv, und so fand er zu sehr unterschiedlichen Fragestellungen oft verblüffend einfache, zuweilen sehr kühne, aber immer wirkungsvolle Lösungsansätze. Die Frage nach neuen Eigentumsformen für assoziative Gemeinschaftsbildungen und Kooperationen ist nach wie vor rechtlich noch nicht wirklich zufriedenstellend geklärt. Es geht doch darum, dass Eigentum (zumindest auch) dem Gemeinwohl dient, und nicht nur privaten Interessen. Bei Unternehmenseigentum ist das ja eigentlich sofort evident, wenn man sich klarmacht, dass bei einem Unternehmensverkauf alle Mitarbeitenden mit „verkauft“ werden. Wir brauchen also eine neue Rechtsform, bei der das Eigentum am Unternehmen sozialgebunden ist. Das war auch die Intention von Rexroth und Barkhoff bei der Gründung der Neuguss! Nur: Eine GmbH ist dazu eigentlich nicht geeignet, denn ihre Konstruktion dient dem Zweck der Gewinnerzeugung. Die Rechtsform GmbH fördert die Sozialbindung des Eigentums überhaupt nicht. Die sinnvollste Behelfskonstruktion ist hier bisher eine Stiftungslösung, insbesondere die sogenannte „Doppelstiftung“. Diese Lösung haben bisher schon etliche verantwortungsbewusste Unternehmer*innen gewählt, die die Sozialbindung über ihren eigenen Tod hinaus sichern wollten. Aber ein zeitgemäßer Neugriff des Eigentumsbegriffs selbst ist das nicht, sondern eben nur eine Hilfskonstruktion. Mit der „Stiftung Verantwortungseigentum“ versuchen Armin Steuernagel und andere junge Unternehmer*innen daher schon seit einigen Jahren, eine geeignete Rechtsform für Verantwortungseigentum zu finden. Inzwischen haben sie erreicht, dass die Ampelkoalition das sogar als Ziel in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Darin liegt meines Erachtens eine große Chance, den Anliegen eines Verbundes wie der Neuguss auch in der Ausgestaltung einer entsprechenden rechtlichen Form noch mehr Rechnung zu tragen. Immerhin bleibt der Neuguss auf jeden Fall der besondere Verdienst, hier Vorreiterin gewesen zu sein.

Was genau bedeutet für Sie das Rechtswesen?

Erneuerung braucht Beweglichkeit. Und Rechtsformen sollten wie gute Kleidungsstücke sein – sie müssen passen. Man zieht ja kein Ballkleid an, wenn man die Wohnung renoviert, und keinen „Blaumann“, zu einer Theatergala. Das Recht ist nicht unabhängig vom Menschen da. Das Recht ist ein Raum, der uns Menschen gehört und den wir fortwährend neu gestalten können. Anders als die Natur – die gehört uns keinesfalls. Wir leben vielmehr in einem natürlichen Umfeld, innerhalb dessen wir uns verantwortlich verhalten sollten, was uns leider sehr oft (noch?) nicht gelingt! Der Rechtsraum hingegen ist ein menschliches Konstrukt, und wir können und sollen ihn fortwährend neu gestalten. Ohne dass wir in der geistigen Welt etwas „verrücken“. Für mich ist das Recht also ein Ermöglichungsraum im allerbesten Sinne.