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Geschichten zum Neuguss-Jubiläum
In Beziehung sein – Geschichten zum Jubiläum

Albert Fink –

Von den Ursprüngen der Neuguss

Albert Fink ist Mitbegründer der GLS Bank und schon immer Unternehmer im allerbesten Wortsinn. Er hat sich nie nur mit theoretischen Auseinandersetzungen zu den Ideen einer sozialen Dreigliederung zufriedengegeben. Vielmehr hat es ihn schon immer gedrängt, etwas zu unternehmen, ins Tun zu kommen. Sein wirklich umfangreiches „Herzwerk“ widmet sich zu einem großen Teil auch dem Gedeih der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Im November 2014 wurde er dafür im Hambacher Schloss mit dem Karl-Werner-Kieffer-Preis geehrt.

Albert Fink nimmt uns mit in die 1960er Jahre und erinnert sich an seine erste Begegnung mit Friederike und Alfred Rexroth und die ersten Berührungen mit einem Menschenkreis um Wilhelm Ernst Barkhoff, der – angeregt durch anthroposophische Schriften – an den ideellen Grundlagen eines erweiterten Bankwesens arbeitete. Diesem Kreis gehörte er auch an. Es sollte aber nicht bei der Erarbeitung theoretischer Aspekte bleiben, sondern vielmehr gleichzeitig auch praktische und ganz bewusst auch experimentelle Schritte unternommen werden, um im äußeren gesellschaftlichen Umfeld Einrichtungen und Arbeitsweisen anzuregen, die im Tun Gedanken und Ideen befruchten können.

Lieber Albert, wo lagen in den Anfängen der Begründung der Neuguss Deiner Einschätzung nach die größten Herausforderungen und Fragestellungen?

Die Gesellschaft war zu dieser Zeit noch nicht vorbereitet auf neue Formen der Zusammenarbeit im Wirtschaftsleben. Es ging ja darum, das Eigentum an wirtschaftlichen Unternehmen so zu gestalten, dass es fruchtbar für das Gemeinwohl wirken konnte. Das war nicht nur eine Frage der Initiative einzelner unternehmerischer Menschen, sondern auch eine des Gestaltungswillens aller beteiligten Menschen. Es sollten die unterschiedlichen Lebensbereiche (Pädagogik, Ökolandbau, Medizin, gewerbliche Aktivitäten) einerseits miteinander verbunden, andererseits durch neue Kooperationsformen wirtschaftlich und finanziell tragfähig gestaltet werden. Es stellte sich die Frage, wer solche Kooperationen vermittelt und koordiniert und wie die finanziellen Grundlagen für derartige Vorhaben geschaffen werden konnten. Also damit auch die Frage, wie kommt von dort, wo Überschüsse erwirtschaftet werden (z. B. aus der Industrie und anderen wirtschaftlichen Betrieben), ein Teil der Überschüsse als Investition in die Zukunft zu den gemeinnützigen Initiativen?

Wie kam es in dieser Zeit zu Deiner Begegnung mit Alfred und Friederike Rexroth?

Anfang der 1960er Jahre lernte ich über Helmut Bleks, der damals Vertreter der Firma Rexroth in Lohr in NRW war, Friederike und Alfred Rexroth kennen. Wie erwähnt hatte das Ehepaar damals erste Kontakte mit dem erwähnten Initiativkreis um Wilhelm Ernst Barkhoff. Dort arbeitete man an ideellen Grundlagen eines erweiterten Bankwesens, in dessen Folge später auch die GLS Bank entstand. Es sollte aber nicht nur bei der Erarbeitung theoretischer Aspekte bleiben. Nach sehr ernüchternden Erfahrungen im sogenannten „Kommenden Tag“ litt Rexroth sehr darunter, dass es so wenig gelang, aus Anthroposophie und Dreigliederungsgesichtspunkten gestaltend im Wirtschaftsleben, insbesondere in der Industrie zu wirken und gewerbliche wie gemeinwohlorientierte Initiativen miteinander zu verbinden. Durch Hinweise von Rexroth beschäftigten wir uns intensiv mit der von Rudolf Steiner verfassten Präambel zum „Kommenden Tag“, in der er auf die Notwendigkeit hinweist, bankähnliche Einrichtungen zu begründen als eine Art Vermittlungsorgan in den assoziativen Arbeitszusammenhängen (siehe Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921, GA 24).

In Bochum gelang es, erste praktische Schritte und Versuche gemeinsam zu unternehmen, um im äußeren gesellschaftlichen Umfeld Einrichtungen und Arbeitsweisen anzuregen, die im Tun Gedanken und Ideen befruchten konnten. Als ersten Schritt stellte Alfred Rexroth der Gemeinnützigen Treuhandstelle einen Betrag schenkungsweise zur Verfügung mit der Auflage, dass sie sich mit ihm an einem Industriebetrieb still beteiligen soll. Durch diese Beteiligung sollte ein Teil der Erträge an die Gemeinnützige Treuhandstelle abgeführt werden. Dieser Betrieb war bald gefunden, aber leider durch einen zu teuren Neubau fast zahlungsunfähig. Ich übernahm die Geschäftsführung als Komplementär. Das Unternehmen - die Schweisstechnik Bochum - entwickelte sich so gut, dass aus seinen Überschüssen und aus denen eines weiteren Unternehmens, an dem sich Alfred Rexroth beteiligte, die Anlaufkosten für die Bochumer Bankeinrichtungen zum großen Teil finanziert werden konnten. Später übertrug er die übrigen Beteiligungen, die er an anderen Unternehmen besaß, auf die zu diesem Zweck begründete Neuguss. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Beteiligung an einem Berliner Unternehmen zu erwähnen, das unter der Firmenbezeichnung Alfred Rexroth GmbH unter der Geschäftsführung von Horst Bleks finanziell erfolgreich war. In der Folgezeit führte die Neuguss beachtenswerte Gewinnanteile an die Gemeinnützige Treuhandstelle ab. Diese bildeten unter anderen die Grundlage für viele Investitionen, die im Gemeinwohlbereich in kulturellen und sozialen Vorhaben getätigt werden konnten.

Die ihn leitenden Gesichtspunkte schrieb Alfred Rexroth in einem Leitbild nieder, das er „Die Unternehmer Kooperation“ nannte. Die von Alfred Rexroth und seinem Bruder entwickelten Partnerschaftsmodelle zwischen Arbeitgeber und –nehmer sollten den sozialen Boden für dieses neue Wirtschaften bilden. Ihm schwebte dabei eine Neutralisierung von Unternehmerkapital vor. Dieses sollte in größere soziale Zusammenhänge überführt werden und dazu beitragen, dass sich die oft unvereinbaren Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit, gemeinnütziger und gewerblicher Tätigkeit, Kultur und Wirtschaft aufeinander zu bewegten. Alfred Rexroth sah in der Neuguss und der mit ihr verbundenen Treuhandstelle und den GLS-Bank-Zusammenhängen ganz offensichtlich ein zukunftsweisendes Modell für seine Bestrebungen und stellte hierfür letztlich sein gesamtes Industrie-Vermögen post mortem zur Verfügung. Die Verträge in Erfüllung der testamentarischen Verfügungen stellten sich als ein Vertragswerk heraus, das von einigen Juristen und Steuerfachleuten als zu unsystematisch und nicht schlüssig angesehen wurde, weil es zu sehr auf der Einsicht und dem Einfallsreichtum der künftig Beteiligten beruhte. Im Bericht einer Groß-BP-Prüfung bei der Neuguss steht ein Vermerk als Fazit langer Überlegungen des Prüfers: „Die Firma Neuguss gehört niemandem.“ Ein sicherlich bemerkenswerter Satz für einen Betriebsprüfer.

Neben Alfred Rexroth muss aber immer wieder auch auf seine Frau Friederike verwiesen werden. Ohne ihr unkonventionelles, souveränes und in entscheidenden Situationen entschlossenes Wirken im Hintergrund wäre vieles nicht entstanden und von Alfred Rexroth nicht getan worden.

Im Unternehmensnamen Neu-Guss steckt ja bereits die Verbindung von industriellen und kreativen Prozessen. Wo lagen hier die größten Herausforderungen?

Mein Freund Rolf Kerler hielt auf einer Mitgliederversammlung der Gemeinnützigen Treuhandstelle e.V. anlässlich deren 40-jährigem Bestehen einen Eröffnungsvortrag, bei dem er den Übungsweg beschrieb, der mit der Begründung der Bochumer Bankeinrichtungen und damit auch der Neuguss einherging. Dort ging es unter anderem um die Frage, wie wir von der Gemeinschaftsbildung zur Gesellschaftsbildung kämen. Sicherlich geht es hier um eine gewaltige gesellschaftliche Aufgabe, nicht zuletzt angesichts der bedrohlichen Nöte der Zeit, aber auch der hoffnungsvollen Bewegungen, die sich in vielfältigen Initiativen der Zivilgesellschaft äußern – jenseits staatlicher und institutioneller Einrichtungen. Rolf Kerler schilderte die Schwierigkeiten, „in reale Arbeitsbeziehungen zu den Kühen zu treten, die wir melken wollen“. Gemeint war, dass das Wirken der Gemeinnützigen Treuhandstelle weitgehend durch Erträge aus Industriebeteiligungen ermöglicht wurde. Daran knüpfte er die Frage, wie wir wirtschaftliche und kulturelle Wertschöpfung miteinander verbinden können durch die Menschen, die sie hervorbringen. Eine kaum gelöste Zukunftsaufgabe, die Alfred Rexroth fortwährend beschäftigte.

Wo siehst Du Zukunftsfunken für die Bestrebungen aus der Gründungszeit?

Es gibt einerseits im Wirtschaftsleben viele sogenannte Start-ups, die neue Wege des Wirtschaftens suchen und Innovationskräfte hervorbringen. Auch die GLS Bank beschäftigt sich mit diesem neuen Impetus. Allerdings laufen die meisten Gründungen doch Gefahr, ab einem bestimmten Börsenwert wieder in die alten Muster zu verfallen. Was mich sehr hoffnungsfroh macht, sind die zahlreichen Initiativen aus den verschiedenen Lebensbereichen, in denen die Beteiligten ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen. Hier seien als Beispiel Gesundheitsinitiativen, die generationenübergreifend eine auf Gegenseitigkeit gestützte Versorgung leben, oder die Solidarische Landwirtschaft genannt sowie genossenschaftliche Wohnformen und vieles andere mehr.